Zeit für ein neues Bild von ADHS
Wenn von ADHS die Rede ist, denken viele an zappelige Kinder oder chaotische Erwachsene. Doch dieses Bild ist überholt. Hinter der „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ steckt weit mehr als nur ein paar Symptome.
ADHS ist genetisch bedingt und zeigt sich in der neurobiologischen Verarbeitung von Reizen. Statt automatisch zu filtern, wie es bei neurotypischen Menschen üblich ist, nehmen Menschen mit ADHS deutlich mehr Informationen gleichzeitig wahr – und verarbeiten sie anders.
Diese andere Form der Informationsverarbeitung ist kein Mangel, sondern ein Ausdruck von neurodiverser Vielfalt. Genau hier liegt das oft unterschätzte ADHS Potenzial.
ADHS ist genetisch – und individuell
ADHS hat eine starke genetische Komponente. Die Ursache liegt in einer mangelnden Verfügbarkeit bestimmter Neurotransmitter wie Dopamin und Noradrenalin in den Nervensynapsen.
Diese Botenstoffe sind u. a. verantwortlich für:
- Konzentration und Aufmerksamkeit
- Impulskontrolle
- Motivation
- emotionale Regulation
Doch wie sich ADHS äußert und in welcher Intensität, ist bei jeder Person unterschiedlich. Einige erleben innere Unruhe, andere sind verträumt, ideengetrieben oder hochsensibel. ADHS ist ein Spektrum – keine Schublade.
Typische Symptome – individuell ausgeprägt
ADHS zeigt sich nicht immer gleich. Hier einige häufige Erscheinungsformen – mit dem Hinweis: Es handelt sich um Beispiele, keine festen Regeln.

UMIF – ADHS aus neurodiverser Perspektive
Eine besonders spannende Sichtweise stammt von Dr. med. Heiner Lachenmeier. Er beschreibt ADHS als:
UMIF – Unusual Management of Information and Functions
„Menschen mit ADHS denken nicht zu wenig, sondern zu weit.“
Anders als bei neurotypischen Menschen, bedeutet ADHS demnach, dass Reize und Informationen nicht automatisch vorgefiltert, sondern ungefiltert ins Bewusstsein gelangen. Was bei anderen im Hintergrund bleibt, wird von ADHS-Betroffenen aufgenommen, verarbeitet, mitgedacht.
Das kann zu Überforderung führen – aber auch zu ungewöhnlicher Kreativität, komplexem Denken und hoher Empathie.
Mehr dazu findest du auf der Website von Dr. Lachenmeier:
https://adhs-lachenmeier.ch/adhs/
ADHS Potenzial: Stärken erkennen und nutzen
Viele Menschen mit ADHS zeigen besondere Fähigkeiten – oft genau in den Bereichen, die Flexibilität, Empathie oder vernetztes Denken erfordern. Hier einige Beispiele, die sich im Alltag oder Beruf als Stärke zeigen können:
- Kreativität & Ideenreichtum
- Empathie & soziale Intuition
- Spontane Lösungsfindung
- Flexibilität in neuen Situationen
- Hyperfokus bei starkem Interesse
Diese Eigenschaften sind nicht bei allen Menschen mit ADHS gleich stark ausgeprägt – und nicht immer nutzbar, wenn die Rahmenbedingungen fehlen. Doch unter den richtigen Voraussetzungen können sie wertvoller Teil einer individuellen Entwicklung sein.
Kreatives Denken durch Reizoffenheit und Assoziationsbreite
Gerade das, was oft als „Überforderung“ wahrgenommen wird – nämlich die ungefilterte Aufnahme von Informationen und Reizen – kann auch der Ursprung von Kreativität sein. Denn wer Informationen nicht automatisch ausblendet, nimmt mehr gleichzeitig wahr:
- Details, die anderen entgehen
- Zusammenhänge, die ungewöhnlich erscheinen
- Gedanken, die blitzschnell weiterverknüpft werden
Diese große Wahrnehmungs- und Assoziationsbreite bildet die Grundlage für ein besonderes Kreativitätspotenzial.
Nicht jede Person mit ADHS schöpft dieses automatisch aus – doch das Potenzial dazu ist vielfach vorhanden und kann mit der richtigen Unterstützung gezielt gefördert werden.
Fazit: ADHS verstehen heißt, Nachteile minimieren, Potenziale erkennen
ADHS ist kann für die Betroffenen eine Herausforderung im Leben darstellen. Es birgt allerdings nicht nur Nachteile, sondern durch einen anderen Zugang zu Wahrnehmung, Denken und Handeln große Potenziale. Wer neurodivergente Perspektiven mitdenkt, kann Teams vielfältiger, Organisationen anpassungsfähiger und Lösungen kreativer machen.
Menschen mit ADHS bringen – wenn die Rahmenbedingungen stimmen – oft Fähigkeiten mit, die in komplexen Arbeitsumfeldern besonders gefragt sind:
schnelles Denken, unkonventionelle Ideen, hohe Empathie oder flexible Perspektivwechsel.
Es lohnt sich deshalb ganz praktisch, neurodiverses Denken nicht nur zu akzeptieren, sondern gezielt zu integrieren – in Teamarbeit, Führung, Bildung oder Beratung. Offenheit für ADHS und andere neurodiverse Profile ist kein „Bonus“, sondern ein echter Mehrwert – für alle Beteiligten.

