Einleitung: Warum dieser Artikel?
Neurodiversität ist keine Seltenheit, sondern längst Teil unseres beruflichen Alltags. In vielen Teams arbeiten Menschen mit ADHS, Autismus, Hochsensibilität oder anderen neurodiversen Profilen, auch wenn dies nicht immer offen angesprochen wird.
Schätzungen zufolge sind etwa 15 bis 20 Prozent der Weltbevölkerung neurodivergent. Das bedeutet, dass neurologische Prozesse anders verlaufen als bei sogenannten neurotypischen Menschen. Dazu zählen unter anderem ADHS, Autismus-Spektrum-Störungen, Legasthenie oder Dyspraxie.
Quelle: Northwestern Medicine
Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass auch in Deinem Team Menschen mit neurodivergenten Denkweisen arbeiten. Vielleicht ist es Dir bereits aufgefallen oder vielleicht wird es noch nicht offen thematisiert.
Dieser Beitrag gibt Dir einen Überblick über das Thema Neurodiversität im Team. Du erfährst, worum es dabei geht, welche Herausforderungen und Chancen entstehen können und wie Du die Zusammenarbeit praktisch und sensibel gestalten kannst.
1. Was bedeutet Neurodiversität?
Der Begriff Neurodiversität beschreibt die natürliche Vielfalt neurologischer Funktionsweisen. Das bedeutet, dass nicht alle Menschen Informationen, Reize oder soziale Interaktionen auf die gleiche Weise verarbeiten.
Neurodiversität umfasst zum Beispiel:
- ADHS, das sich im Grunde dadurch auszeichnet, dass (zu) viele und nicht gewichtete Informationen verarbeitet werden müssen und die exekutiven Funktionen nicht (immer) gesteuert ausgeführt werden können.
- Autismus, mit einem Fokus auf Struktur, Logik und sensorischer Empfindlichkeit
- Hochsensibilität, bei der Emotionen und Sinneseindrücke besonders intensiv erlebt werden
- Lernneurodiversität, wie Legasthenie oder Dyskalkulie, mit anderen Zugängen zu Sprache oder Zahlen
Diese Unterschiede betreffen häufig Wahrnehmung, Kommunikation, Stressverarbeitung sowie die Art, wie Menschen Aufgaben angehen oder in Teams arbeiten.
Du möchtest mehr speziell zu meinem Fokusthema ADHS erfahren? Dann wirf einen Blick in den Beitrag „ADHS verstehen und neu denken: Vielfalt statt Störung“
2. Welche Herausforderungen können bei Neurodiversität im Team entstehen?
In vielen Fällen sind die Herausforderungen weniger medizinisch oder individuell, sondern entstehen durch unpassende Rahmenbedingungen im Arbeitsumfeld.
Typische Schwierigkeiten können sein:
- Missverständnisse in der Kommunikation, vor allem wenn viel „zwischen den Zeilen“ passiert
- Reizüberflutung durch offene Büros, ständige Unterbrechungen oder hohe soziale Anforderungen
- Unklare Aufgaben, wechselnde Prioritäten oder zu viele parallele Projekte
- Bewertungen von Verhalten oder Arbeitsstil, die nicht zur individuellen Verarbeitung passen
Oft haben neurodivergente Personen gelernt, sich anzupassen, auch wenn dies mit viel Energieaufwand verbunden ist. Dadurch bleiben ihre tatsächlichen Bedürfnisse im Team häufig unsichtbar.
3. Welche Potenziale bringt Neurodiversität ins Team?
Neurodivergente Menschen verfügen häufig über Stärken, die in dynamischen, kreativen oder komplexen Arbeitsfeldern besonders hilfreich sein können. Wenn diese Stärken erkannt und richtig eingebunden werden, können Teams deutlich gewinnen.
Beispiele für Potenziale sind:
- Kreativität und unkonventionelle Lösungsansätze
- Hyperfokus bei großem Interesse an einem Thema
- hohes Gerechtigkeitsempfinden und klare Werteorientierung
- Schnelles und vernetztes Denken
- Empathie und Sensibilität für Stimmungen oder Konflikte
Diese Stärken zeigen sich jedoch oft nur dann, wenn die Umgebung sicher, verständlich und strukturiert genug ist und die übernommen Aufgaben oder Projekte interessant und herausfordernd sind. Andernfalls werden sie eher unterdrückt als entfaltet.
4. Was brauchen neurodivergente Teammitglieder?
Du musst keine Expertin oder kein Experte sein, um die Zusammenarbeit mit neurodiversen Menschen gut zu gestalten. Vieles, was hilft, ist auch für neurotypische Teammitglieder von Vorteil.
Hier einige Bereiche, die im Arbeitsalltag besonders wichtig sind:

Was Du hier gestaltest, verbessert in der Regel auch die allgemeine Zusammenarbeit im Team und ist daher für alle und allgemein von Vorteil für effiziente, aber auch wertschätzende Zusammenarbeit.
5. Wie kannst Du neurodiverse Zusammenarbeit fördern?
Es braucht nicht sofort große Umstellungen. Schon mit kleinen Veränderungen kannst Du viel bewirken:
- Sorge für klare Strukturen in Meetings. Eine Agenda, die pünktlich startet und endet, sowie eine schriftliche Zusammenfassung helfen allen.
- Klare Rollenverteilung, Zuständigkeiten und Prioritäten lassen keinen Raum für Spekulationen oder Interpretationen.
- Vermeide implizite Erwartungen. Sprich direkt aus, was Du brauchst und frage, was andere brauchen.
- Mach Stärken sichtbar. Wer schnell denkt, querdenkt oder intensiv beobachtet, sollte gezielt eingebunden werden.
- Reflektiere Routinen und Regeln. Nicht alles, was für alle gelten soll, passt auch für alle.
- Nutze Feedback offen. Frage regelmäßig: Was brauchst Du, um gut arbeiten zu können?
- Nutze wertschätzende Sprache und gehe empathisch mit herausfordernden kommunikativen Situationen und Konflikten um.
Du kannst so Schritt für Schritt eine Teamkultur mitgestalten, in der neurodiverse Denkweisen nicht als Abweichung, sondern als Ressource gesehen werden.
6. Fazit: Vielfalt im Denken ist eine Chance für alle
Neurodiversität im Team bedeutet nicht, dass Zusammenarbeit komplizierter wird. Sie bedeutet, dass wir genauer hinschauen dürfen und bewusster gestalten können.
In einer vielfältigen Arbeitswelt profitieren Teams von Menschen, die anders denken, fühlen oder kommunizieren. Gerade in Zeiten, in denen Innovation, Veränderungsfähigkeit und Menschlichkeit gefragt sind, können neurodivergente Perspektiven eine echte Bereicherung sein. Ich würde fast so weit gehen zu sagen, dass jedes Team, welches kreativ und innovativ arbeiten möchten, mindestens einen Menschen mit ADHS gebrauchen könnte.
Wenn Du beginnst, diese Vielfalt zu erkennen und passende Strukturen zu schaffen, profitieren am Ende nicht nur einzelne Teammitglieder, sondern das gesamte Team… oder gar das gesamte Unternehmen.
Ausblick: Weitere Beiträge folgen
Dieser Artikel bildet den Auftakt zu einer Reihe rund um neurodiverse Arbeitswelten. In Planung sind u. a.:
- ADHS im Beruf – zwischen Informationsnebel und Hyperfokus
- ADHS in der Führung – Führungskräfte mit ADHS brauchen
- Selbstorganisation für neurodivergente Menschen – Tools und Methoden aus dem Coaching